Städte dehnen sich immer weiter aus – laut Prognosen der Weltbank werden bis zum Jahr 2050 rund 70 Prozent der Menschen im urbanen Raum leben. Für Städteplaner eine große Herausforderung. Lösungen, wie Mensch und Natur dann ausreichend „Luft“ finden, sind bei der Floriade zu sehen. Ein Gastbeitrag von Manfred Wolf.
Die meisten Filme, die sich um die Zukunft drehen, zeichnen ein düsteres, fast dystopisches Bild. Grau, Viren, Maschinen, die die Welt beherrschen. Einen wohltuenden und blumigen Kontrast dazu zeichnet die Floriade, die internationale Gartenbauausstellung in Almere, nahe der niederländischen Hauptstadt Amsterdam.
Anfangs aufgrund der pandemiebedingten Unsicherheiten nur zögerlich in Fahrt gekommen, erblüht die Expo dafür nun umso beeindruckender. So sehr, dass sogar Bio-Gärtner Karl Ploberger ins Schwärmen kommt: „Im Mai war Vieles nicht fertig. Das hat negative Kritiken gebracht. Jetzt ist es wirklich schade, dass sie am 9. Oktober zusperrt. Sie sollte verlängert werden, damit viele junge Menschen und Architekten herkommen können, um sich anzusehen, was möglich ist. Sie ist ein Impulsgeber dafür, wie man architektonisch interessant bauen kann und trotzdem an die Umwelt denkt.“
Ein Gebäude, 15.000 Pflanzen
Die Floriade war vergangene Woche einer der Höhepunkte bei der Gartenreise mit dem Biogärtner. Denn hier sprühen Innovationsgeist und Experimentierfreude der 30 teilnehmenden Länder, die in Länder-Pavillons auf einer Ausstellungsfläche von 60.000 Quadratmetern Faszinierendes ausstellen.
Nicht zufällig befindet sich auf dem Gelände auch die Universität Aeres, ein komplett neues Gebäude, auf, in und an dem mehr als 15.000 Pflanzen und Bäume wachsen sowie mehr als 700 Solarpanele angebracht sind. Auch das Regenwasser wird aufbereitet. „Das Gebäude ist zu 100 Prozent energieneutral“, sagt Jolanda Put, Vermittlerin bei der Floriade. Die Pflanzen an der Fassade wurden übrigens so ausgesucht, dass sie die Lebensgrundlage für Bienen und Schmetterlinge sichern. „Diese Idee ist freilich nicht neu, aber in diesem Falle wirklich beeindruckend umgesetzt“, sagt Ploberger. „Gerade was grüne Fassaden betrifft, haben die Niederländer schon früh begonnen, zu experimentieren. Bei uns stellt das aufgrund der niedrigen Temperaturen im Winter oft noch ein Problem dar.“
Während bei vielen Expos nach dem Ende die Ausstellungsfläche wieder komplett geräumt wird, ist es hier, in Almere, anders. Die Floriade ist gewissermaßen das Grundsteinlegungsfest für ein neues Stadtviertel. Wenn die Expo am 9. Oktober endet, kommen zwar die Länder-Pavillons, sowie die vom Vorarlberger Unternehmen Doppelmayr errichtete Seilbahn weg, auf dem Grundstück werden dann aber mehr als 600 neue Wohneinheiten errichtet. Ein Wohnheim für Demenzkranke befindet sich bereits auf dem Areal, das direkt an der Autobahn gelegen ist. Bei dem Heim wurde bereits auf „Upcycling“ gesetzt, einer Art der Wiederverwertung von Abfallprodukten. So wurden Teile des Gebäudes aus dem Metall von alten Fahrrädern gebaut.
Seilbahn aus Österreich
Noch ein Wort zur Seilbahn. Sie ist der einzige Beitrag Österreichs bei der Expo, allerdings kein Offizieller, denn einen eigenen Länderpavilion hat Österreich nicht bezogen. Die Seilbahn verläuft quer über das gesamte Gelände und ermöglicht den Besuchern einen wunderbaren Überblick über das Areal. Sie soll Anstoß für künftige Mobilitätslösung in Städten sein – andere Verkehrsmittel gibt es hier nicht. Dass die Seilbahn danach wieder abgebaut wird, bedauert Jolanda Put: „Es ist schade, denn sie ist eine Attraktion. Es wäre toll gewesen, wenn sie danach bis ins Stadtzentrum von Almere verlängert worden wäre.“ Diesem Plan stand allerdings die Hochspannungsleitung im Wege.
Ein weiteres Gebäude, das erhalten bleibt, ist das Food-Forum. „Die Provinz Flevoland ist besonders fruchtbar, hier werden auch neue Züchtungen ausprobiert, mit denen im Food-Forum experimentiert wird“, sagt Jolanda Put. Als Probanden dienen die Studenten im Nebengebäude. Haubenköche bereiten in der Mensa ausschließlich vegetarische Gerichte zu – eben auch aus den neuen Züchtungen. Dass hier ausschließlich vegetarisch gekocht wird, ist der Nachfrage geschuldet, „denn die Studenten sagen, sie können sich nicht mit den Themen Natur und Nachhaltigkeit beschäftigen und dann Fleisch essen“.
Die Universität bietet übrigens fünf Bachelorstudiengängen an – alle zum Thema Natur, Nachhaltigkeit oder Ernährung. „750 Studenten sind hier – die Nachfrage ist jedoch so groß, die Universität hätte doppelt so groß sein können“, sagt Jolanda Put.
Besonders beeindruckend ist auch jenes Gebäude, das gegenüber der Universität steht. Ein Holzgebäude, das aus mehr als 120 Holzquadern besteht, die miteinander verschraubt sind – je nach Bedarf können Quader dazu- oder weggenommen werden. „Ein modulares System, das auch praktisch als Einfamilienhaus ist – je nach Bedarf kann ein Quader dazugebaut werden.“ Das Gebäude steht übrigens auf Holzpfählen – immerhin befinden wir uns unter dem Meeresspiegel –, die normalerweise mit Stahlkappen abgedeckt sind. Hier sind die Kappen aus Abfallplastik. Nach der Floriade sehen die Architekten nach, ob sich auch diese Lösung bewährt.
Zwei Details am Rande: Im Haus wurde ein Boden aus nicht mehr verwendbaren Spinatsamen verlegt. Zudem sind Flugzeugstühle ausgestellt, die mit einer Mischung aus Paprikastängel und Myzel gefüttert sind.
„Die Holländer sind besonders experimentierfreudig, Vieles wird hier gezeigt, was wahrscheinlich bei uns in ein paar Jahrzehnten Alltag sein wird“, sagt Karl Ploberger, „Die Jugend will genau diese Zukunft – eine Zukunft, die uns wir Älteren gar nicht vorstellen können.“
In dieser Zukunft, so eine Studie der Weltbank, werden 68 Prozent der Menschen in Städten leben. „Almere wird dann ein Stadtteil von Amsterdam sein und Amsterdam wohl nur noch eine von drei richtig großen Städten“, sagt Jolanda Put.
Und diese Städte werden so grün wie möglich sein müssen. Eine Utopie? Nein, bereits Realität.